Quartierverein Wiedikon

Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder

Im Kreis 3 leben – wie in der ganzen Stadt – zahlreiche Kunstschaffende. Sie gehören zu jenen Menschen, die besonders sensibel auf Veränderungen im Quartier reagieren. Einer davon ist Jan Leiser (64), Zeichner und Maler, ein freischaffender Künstler, bekannt im Quartier und in der kunstinteressierten Szene.
 
Aufmerksam hat Jan Leiser in den letzten Wochen und Monaten von seiner Wohnung am Berneggweg aus die baulichen Veränderungen in der Nachbarschaft mitverfolgt. Die Fotos, die er dem Quartierverein schickt, kommentiert er lakonisch: «Alle Jahre wieder saust an der Haldenstrasse der Presslufthammer nieder.» Seine Bildfolge, die im Juni 2023 entstanden ist, zeigt beispielhaft den Abbruch eines in die Jahre gekommenen Hauses – innert Tagen, ja wenigen Stunden. Ausgeführt mit schwerem Gerät der Baufirma Kibag AG im Auftrag eines (uns nicht bekannten) Bauherrn, der das gelbe Haus an der Haldenstrasse 83 abreissen liess. Um Platz für neuen Wohnraum zu schaffen. Der Blick aus dem Fenster hat sich schlagartig verändert.
Winter 2022/23: Das neue Mehrfamilienhaus Haldenstrasse 81, im Rohbau fertig, wird direkt ans gelbe Einfamilienhaus 83 angebaut
Winter 2022/23: Das neue Mehrfamilienhaus Haldenstrasse 81, im Rohbau fertig, wird direkt ans gelbe Einfamilienhaus 83 angebaut
Mitte Juni 2023: Innert Stunden wird das alte gelbe Haus abgebrochen
Mitte Juni 2023: Innert Stunden wird das alte gelbe Haus abgebrochen
Der Abbruch ist generalstabsmässig geplant – zum Vorschein kommt die Innenseite der alten Brandmauer
Der Abbruch ist generalstabsmässig geplant – zum Vorschein kommt die Innenseite der alten Brandmauer
Als der Altbau noch stand, ein Jahr zuvor (2022), wurde an der Südostfront ein Neubau hochgezogen, der das nun abgerissene Einfamilienhaus schon nach wenigen Monaten überragte. Der Neubau hat den Altbau vermutlich nicht nur in seinen Grundfesten erschüttert, sondern auch vor dem Zusammenfall gestützt. In den letzten Tagen kamen in den Innenräumen der Altwohnung grossflächige Graffitis zum Vorschein – ob von den letzten Bewohnern (gemäss Leiser waren Kunstschaffende darunter) oder allenfalls späteren Besetzern, wissen wir nicht.

Von der Rasanz des Abbruchs sind Nachbarn verblüfft, irritiert, gefesselt. «Meine Partnerin hat stundenlang zugesehen und war fasziniert von der Präzision dieses Abbruchs», sagt Jan. Er selbst ist vor allem begeistert über die Malerei auf der Brandmauer und schlägt vor: «Die Stadt sollte das Gebäude unter Denkmalschutz stellen und als neues Street Art Objekt im Kreis 3 stehen lassen.» Sozusagen BrandArt in Wiedikon.

Jan Leiser sagt von sich, er sei nicht nur «Einfaltspinsel, sondern Vielfaltspinsel». Neben der Malerei beherrscht der Künstler die Arbeit mit Holz, Ton und Schaumstoff, stellt Linoldrucke her. Ein breites Spektrum künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten dominiert sein Schaffen. Bekannt sind vor allem seine phantastischen Tiere, Vögel, Fische, Fabelwesen, die er in ausdrucksstarken Farben und Formen malt. Im Jahr 2021 hat Leiser an der 42. Wiediker Kunstausstellung des Quartiervereins ausgestellt. Seine «Kronenvögel» waren in der Pandemie durch Corona inspiriert. Mehr über sein Werk und seine Ausstellungen finden sich auf seiner Website.
Jan Leiser, Wiediker Künstler und Nachbar, fordert: Die Brandmauer sollte als Street Art Objekt unter Schutz gestellt werden
Jan Leiser, Wiediker Künstler und Nachbar, fordert: Die Brandmauer sollte als Street Art Objekt unter Schutz gestellt werden
BrandArt in Wiedikon im Abendlicht
BrandArt in Wiedikon im Abendlicht
Kommen die Nachbarhäuser bald ebenfalls unter Druck? (Fotos Jan Leiser)
Kommen die Nachbarhäuser bald ebenfalls unter Druck? (Fotos Jan Leiser)
Tritt man ein paar Schritte zurück beziehungsweise die Haldenstrasse hinauf, kommen die nächsten beiden Häuser ins Blickfeld, die Nr. 85 und 87. Jan ist überzeugt: «Sie kommen nächstes Jahr dran.» Das hätten ihm Bauarbeiter versichert. Ja, die baulichen Veränderungen im Quartier sind augenfällig, sie haben in den letzten zwei Jahren stark zugenommen. Verständlich, dass viele Menschen sich beklagen, dass sie ein neues Zuhause suchen müssten. Doch neue Bewohnerinnen und Bewohner ziehen ein. Die Verdichtung greift stark ins Stadtbild sowie ins Leben der Menschen ein. Was Leiser an der Haldenstrasse beobachtet, spielt sich an manch anderen Orten und Ecken des Quartiers ab. Der Wandel ist verbunden mit Nachteilen, aber auch Chancen – Wiedikon erneuert sich, wächst und wird vielfältiger.