Quartierverein Wiedikon

Goldsaum und Steinau – zwei Wiediker Wohnsiedlungen

Die Baugenossenschaft Wiedikon (BGW) gehört zu den weniger bekannten Immobiliengesellschaften im Kreis 3. Grösser und bekannter sind die Familienheimgenossenschaft FGZ im Friesenberg, die ABZ im Sihlfeldquartier oder die Baugenossenschaften Im Gut, Rotach und Zurlinden im Umfeld ihrer jeweiligen Strassen.

Dennoch gehört die BG Wiedikon zu den alteingesessenen Genossenschaften und lebt «im Herzen des Kreises 3», wie sie auf ihrer Website schreibt. Sie verfügt aktuell über rund 150 Wohnungen in 18 Häusern. Diese Häuser liegen in zwei Siedlungen, früher hiessen sie «Kolonien». Die eine mit dem schönen Namen «Goldsaum» befindet sich neben dem Aemtler-Schulhaus und dem Friedhof Sihlfeld, in den Häusern Goldbrunnenstrasse 158 bis 162 sowie Saumstrasse 61 und 63 (daher der Name). Die andere, «Steinau», liegt zwischen Schmiede Wiedikon und Manesseplatz, in den Häusern Steinstrasse 22 bis 40 sowie Austrasse 4, 6 und 16.
Innenhof der Goldsaum-Siedlung in der Nähe von Friedhof Sihlfeld und Aemtlerwiese
Innenhof der Goldsaum-Siedlung in der Nähe von Friedhof Sihlfeld und Aemtlerwiese
Steinau-Siedlung der Baugenossenschaft Wiedikon an der Steinstrasse bis zur Abzweigung Austrasse (im Vordergrund links)
Steinau-Siedlung der Baugenossenschaft Wiedikon an der Steinstrasse bis zur Abzweigung Austrasse (im Vordergrund links)
Einzigartig ist die Geschichte dieser Siedlungen. Blieben Baugenossenschaften, die in den 1920er und 1930er Jahren gegründet wurden, in der Regel ihrer ursprünglichen Ausrichtung – sozialistisch oder bürgerlich – treu, nahm die BGW einen anderen Verlauf. Treibende Kraft hinter ihrer Gründung 1921 war der freisinnige Bauunternehmer Heinrich Hatt-Haller (1878-1940), der zusammen mit weiteren Genossenschaftern der freisinnigen Partei des Kreises 3 die Baugenossenschaft Wiedikon gründete. Er bot der Genossenschaft eigenes Land zum Verkauf an und erbaute mit seinem Geschäft, das sich später zu einer der grössten Baufirmen der Schweiz entwickelte, auch gleich die Wohnungen darauf.

Diese Bautätigkeit trug sowohl zur Behebung des damaligen Wohnungsmangels wie auch der Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Denn 1921/22 befand sich die Schweiz in eine schweren Deflationskrise. Auf Gesuch hin erhielt die BGW von der Stadt vergünstigte Hypotheken und von Kanton und Bund Subventionen. «Heinrich Hatt-Haller verkörperte eine Art ‘Wiedican Dream’», schreibt Christian Koller, Leiter des Schweizerischen Sozialarchivs, in einem Beitrag zur Geschichte der über 100-jährigen BGW.
Heinrich Hatt-Haller, Gründer der Baugenossenschaft Wiedikon und bedeutender Zürcher Bauunternehmer
Heinrich Hatt-Haller, Gründer der Baugenossenschaft Wiedikon und bedeutender Zürcher Bauunternehmer
Die Zürcher Baudirektion spricht Subventionen an die BGW zur «Behebung der Arbeitslosigkeit» (1. September 1921)
Die Zürcher Baudirektion spricht Subventionen an die BGW zur «Behebung der Arbeitslosigkeit» (1. September 1921)
Rechnung der Firma Hatt-Haller für Kanalisationsarbeiten an der Stein-/Austrasse (1929)
Rechnung der Firma Hatt-Haller für Kanalisationsarbeiten an der Stein-/Austrasse (1929)
Allmählich wandelte sich die Handwerker-Genossenschaft zur Mieter-Genossenschaft. Mit dem Erstarken alternativer Lebensformen in den 1980er Jahren und dem Erringen rot-grüner Dominanz ab 1992 im Stadtrat und später im Gemeinderat setzte sich allmählich ein linker «Genossenschafts-Mainstream» durch, wie der Verlag schreibt. Das erwähnte Buch bietet eine interessante Fallstudie zu dieser Baugenossenschaft. Sie stammt von BGW-Vorstandsmitgliedern, einem Historiker, Architektinnen und Architekten.

Das Werk breitet zudem eine Fülle interessanter historischer Dokumente aus und illustriert das Leben in den beiden Siedlungen mit faszinierenden Bildern des Fotografen Goran Basic. Eine einmalige Fundgrube und zugleich ein prächtiger Bildband.

Wohnraum, Eigennutz, Gemeinsinn – Die Baugenossenschaft Wiedikon zwischen bürgerlicher Gründungszeit und gentrifizierter Gegenwart. Hrsg. von Michael Schmitz, Fabian Saner, Daniel Gut und Jane Schindler. Verlag hier + jetzt, Baden 2023, 168 Seiten, CHF 39. Mehr dazu hier.