Quartierverein Wiedikon

Baumführung im Quartier

Ein Baum ist ein Lebewesen, das sich im Laufe seines Lebens mit Krankheiten, Plagen, Witterung und mit den Folgen eines natürlichen Alterungsprozesses auseinandersetzen muss. All diese Stressfaktoren können seine Integrität gefährden, was ihn für uns Menschen gefährlich machen könnte. Wie kommt es dann, dass wir – obwohl es hier in Zürich rund 70’000 Bäume auf öffentlichem Grund gibt – fast nie von Unfällen durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste hören? Das haben wir Grün Stadt Zürich (GSZ) zu verdanken. Diese Verwaltungsabteilung pflanzt und pflegt Bäume in der ganzen Stadt.

Für den 22. Mai 2025 hat der Quartierverein eine Veranstaltung organisiert, bei der Baumkontrolleur und Naturpädagoge Philipp Lenz und die GSZ-Mitarbeiter Roger Lanz und Daniel Wäfler gut zwei Dutzend Interessierten eine Einführung in die Baumkontrolle und Pflege der Stadtbäume im Kreis 3 geben. 
Auf dem iPad von Grün Stadt Zürich ist jeder öffentliche Baum der Stadt verzeichnet
Auf dem iPad von Grün Stadt Zürich ist jeder öffentliche Baum der Stadt verzeichnet
Philipp Lenz: Baumkontrolleur von Grün Stadt Zürich (GSZ)
Philipp Lenz: Baumkontrolleur von Grün Stadt Zürich (GSZ)
Eine 80-jährige Rosskastanie auf der Fritschiwiese
Eine 80-jährige Rosskastanie auf der Fritschiwiese
Start der Führung ist bei der Fritschiwiese. Nach einleitenden Worten führen uns die Experten sogleich zu einer 70-jährigen Winterlinde. Philipp Lenz – mit voller Baumpflegeausrüstung inklusive Meter, Fernglas, Gummihammer und Laptop mit Baumkataster – zeigt uns, auf welche Hinweise man achten muss, um den Gesundheitszustand eines Baumes festzustellen. Wenn sich die Baumpfleger für ein Wappentier entscheiden müssten, würden sie sicher den Buntspecht wählen, denn das Abklopfen von Baumstämmen ist eine charakteristische Tätigkeit für beide Spezies. An einer schon älteren, klaffenden Wunde am unteren Lindenstamm zeigt Lenz, wie man das Ausmass der Verletzung durch das Abklopfen des Stammes mit dem Gummihammer zur Aufdeckung von Hohlräumen evaluieren kann. Die Linde ist glücklicherweise stabil genug, und bleibt uns erhalten.

Die nur wenige Schritte entfernt stehende 80 Jahre alte Rosskastanie benötigt dagegen schon eine dynamische Kronenhalterung, so dass die schweren Äste nicht abbrechen. Rotblühende Rosskastanien bilden auch eine Allee auf dem Sihlfeld-Friedhof. Von dort aus werden wir an eine Stelle mit Nadelbäumen geführt. «Das sind europäische Eiben, die traditionell häufig auf Friedhöfen zu finden sind.» Alle Pflanzenteile ausser dem roten Samenmantel enthalten hochgiftige Taxine. Mit einem schelmischen Blick weist Philipp Lenz darauf hin, dass er dennoch Eichhörnchen beim Fressen von Eibensamen beobachtet hat. Tatsächlich sind diese Wildtiere resistent gegen die Eibengifte. 
Einheimische wie auch exotische Bäume befinden sich auf dem Friedhof Sihlfeld
Einheimische wie auch exotische Bäume befinden sich auf dem Friedhof Sihlfeld
Eine gesunde . . .
Eine gesunde . . .
. . . und eine kranke Rotbuche
. . . und eine kranke Rotbuche
Dann werden wir zu einem grossen Baum mit nur spärlichem Blätterwerk geführt. Die meisten staunen nicht schlecht, als dieser als Rotbuche bezeichnet wird, denn zu gross ist der Unterschied zu der im vollen Laub stehenden Rotbuche, unweit entfernt davon. Äusserlich ist nur schwer zu erkennen, warum dieser Baum abstirbt. Im Wurzel- und unteren Stammbereich wächst offenbar ein Pilz, der die Nährstoffaufnahme der Buche stark einschränkt. Der Baum wird demnächst gefällt, und durch einen Ableger genau desselben Baumes ersetzt. «Auch das Erdreich wird grosszügig ausgetauscht, so dass der neue Baum einerseits mit viel frischem Substrat versorgt und andererseits die pilzbefallenen Zellen im Boden entfernt werden», sagt Roger Lanz.  
Mit dem Gummihammer werden Hohlräume im Baumstamm entdeckt
Mit dem Gummihammer werden Hohlräume im Baumstamm entdeckt
Eiben und Fichten (im Bild) dominieren den Park
Eiben und Fichten (im Bild) dominieren den Park
Mit weisser Farbe wird eine junge Esche gegen Sonnenbrand geschützt
Mit weisser Farbe wird eine junge Esche gegen Sonnenbrand geschützt
«Wegen der mit dem Klimawandel einhergehenden Trockenheit und Hitze sind Buchen für asphaltierte Strassen nicht mehr geeignet», wird erklärt. Das gilt erst recht für Fichten, die noch empfindlicher sind, und im geschwächten Zustand schnell vom Borkenkäfer angegriffen werden. Exotische Bäume wären oft die bessere Wahl, was aber im Konflikt mit dem Ziel steht, möglichst immer einheimische Arten zu pflanzen.

Dann geht’s weiter Richtung Osten zum Friedhofsausgang. Dort steht eine Allee mit jungen Eschen, deren Rinde mit weisser Baumfarbe bestrichen ist. «Das ist gegen Sonnenbrand, denn die Bäume sind volles Sonnenlicht noch nicht gewohnt.» An der Saum-/Bertastrasse erklären die Experten, was sonst noch gemacht wird, wenn Jungbäume gepflanzt werden: Das grosszügige Erdloch wird dreischichtig aufgefüllt, so dass einerseits stehendes Wasser verhindert wird und andererseits ausreichend Substrat fürs Wachstum zur Verfügung steht. Das Gitter auf dem Trottoir lässt zusätzliches Wasser versickern und schützt die Wurzeln, und der aus Gummi bestehende Baumkranz hilft beim Giessen und schützt die Bäume auch vor Konkurrenz. 
Im Zentrum: Vorstandsmitglied Andreas Wäfler und sein Neffe GSZ-Mitarbeiter Daniel Wäfler
Im Zentrum: Vorstandsmitglied Andreas Wäfler und sein Neffe GSZ-Mitarbeiter Daniel Wäfler
Jungbäume an der Bertastrasse: Der Gummikranz im Boden schützt vor Konkurrenzpflanzen
Jungbäume an der Bertastrasse: Der Gummikranz im Boden schützt vor Konkurrenzpflanzen
Apérobuffet im Restaurant Schmiedhof zum Abschluss
Apérobuffet im Restaurant Schmiedhof zum Abschluss
Jetzt mahnt uns Daniel Wäfler zur Eile, denn durch unsere vielen Fragen ist die Zeit wie im Flug vergangen. Das hält Philipp Lenz nicht davon ab, noch einmal in der Rotachstrasse anzuhalten, denn da steht eine alte Eibe in einem privaten Vorgarten. «Die Vorgärten mit ihren alten Bäumen spielen ein sehr wichtige Rolle für die Biodiversität und das Ökosystem in der Stadt», meint er. Die Führung endet an der Kollerwiese. Im Restaurant Schmiedhof steht ein Apérobuffet bereit – wie immer hervorragend. Alle sind ob der gelungenen Veranstaltung gut gelaunt. Daniel Wäfler und Roger Lanz betonen am Tisch, dass sie in ihrem Beruf richtig aufgehen und Spass haben. Wer sonst kann das heutzutage von sich behaupten?