Aus der Geschichte des Quartiervereins (2)
Seit etwa 15 Jahren verfügt der Quartierverein über ein Lager. Dort sind Fahnen, Drucksachen, Wiediker Gläser,
Vereinstransparente und anderes mehr gelagert, darunter auch wenige Aktenordner. Leider sind die Vereinsakten chronologisch sehr unvollständig, sei’s weil nicht jeder
Vereinspräsident oder Aktuar die Dokumente aufbewahrt, abgelegt und seinem Nachfolger weitergegeben hat. Oder sei’s weil Protokolle und Korrespondenzen durch Tod, Ortswechsel oder
Wegzug verschollen sind.
Praktisch lückenlos sind wir über die Präsidenten informiert:
Praktisch lückenlos sind wir über die Präsidenten informiert:
- 1917 – 1927 Caspar Koller (1862-1935)
- 1928 – 1964 Hans Kleiner (1895-1970)
- 1964 – 1974 Emil Zellweger (1913-1991)
- 1974 – 1984 Walter Kronbichler (1939-2015)
- 1984 – 1994 Walter Fischer (geb. 1929)
- 1994 – 2008 Laurenz Styger (1944-2012)
- 2008 – 2017 Ernst Hänzi (geb. 1947)
- ab 2017 Urs Rauber (geb. 1948)
Was auffällt ist, dass die Amtszeit der Präsidenten in der Regel etwa 10 Jahre betrug. Die grosse Ausnahme bildete Hans Kleiner, der
den Quartierverein ganze 36 Jahre lang leitete. Kleiner war Leutnant der Kantonspolizei und laut Hermann Schumacher "ein äusserst korrekter Typ, der sich für das Quartier sehr
stark gemacht hat." Kleiner sass auch viele Jahre im Wiediker Vereinskartell, von 1945 bis 1962 als Vizepräsident, und war Mitglied der Ortsgeschichtlichen Kommission, die von
Ortsmuseum, Quartierverein und Vereinskartell getragen wurde. Schon der erste Quartiervereinspräsident Caspar Koller war an der Gründung des Wiediker Vereinskartells 1922
beteiligt und dessen erster Präsident (bis 1930) gewesen.
Ähnliches gilt auch für den dritten Präsidenten Emil Zellweger, der im Unterschied zu seinen Vorgängern, kein Ur-Wiediker, sondern
"ein gemütlicher, runder Appenzeller" war, der als Sekretäradjunkt in der Verwaltung arbeitete. "Mit Zellweger konnte man gut Kirschen essen", betont Hermann Schumacher. Auch
Zellweger leitete einige Jahre das Kartell und wirkte bei der Ortsgeschichtlichen Kommission mit. Die Personalunion verschiedener Vereinsfunktionen ergab im Alltag einen richtigen
"Wiediker Filz", der den informellen Austausch pflegte, sich gegenseitig unterstützte und Energien bündeln konnte, um grosse Ereignisse wie etwa die Organisation des Wiedikerfests
zu stemmen. Die Sitzungen fanden oft beim Präsidenten oder einem Vorstandsmitglied zuhause statt. Das schlagkräftige Netzwerk von persönlichen, geschäftlichen und
nachbarschaftlichen Beziehungen entfaltete im Quartier ein informelles Machtzentrum.
Walter Kronbichler (Präsident
1974-1984): Unter ihm wuchs der Quartierverein auf über 1'000 Personen an (Foto 1982)
Zu den legendären Präsidenten gehört der Historiker und Geschichtslehrer an der Kantonsschule Enge Walter Kronbichler. In seiner
Amtszeit von 1974 bis 1984 blühte der Verein auf und wuchs bis zum höchsten je erreichten Mitgliedsbestand von 1'065 Personen an (1981). Auch Kronbichler war eine in Wiedikon
bestens vernetzte Persönlichkeit: Gemeinderat der FDP (1982 bis 1984), Mitglied der Zunft zu Wiedikon und der Ortsgeschichtlichen Kommission, Autor einer Geschichte der Zürcher
Kantonsschulen und eben Quartiervereinspräsident. "Für meinen Mann war es wichtig, die verschiedenen politischen Richtungen im Quartier zusammenzubringen – die fortschrittlichen
68er ebenso wie die eher staatsbewahrenden FDP-Leute. Seine Stärke waren die Kommunikation und die Harmonisierung", erzählt seine Frau Ingrid über ihn. Kronbichler besass einen
feinen Humor, war ein brillanter Redner und gut vorbereiteter Versammlungsleiter. In seine Zeit fiel die heikle Auseinandersetzung um die Erweiterung des jüdischen Friedhofs am
oberen Friesenberg, die bei einem Teil der Bevölkerung antisemitische Gefühle auslöste. Kronbichler gelang es, die "gefährliche Stimmung" mit grossem Fingerspitzengefühl und einer
straffen Versammlungsführung zur Zufriedenheit aller zu meistern.
Artikel in der NZZ vom 6. März 1976
über die GV des Quartiervereins Wiedikon
zum umstrittenen Thema Friedhofserweiterung
Der nächste Präsident Walter Fischer war ebenfalls im Quartier aufgewachsen, eine "edle, elegante Erscheinung, doch eher zurückhaltend
im Auftritt" (Ingrid Kronbichler). Fischer arbeitete erst als Jurist auf der kantonalen Baudirektion unter Regierungsrat Paul Meierhans, später als Rechtsanwalt für den SIA und
war Kantonsrat der FDP von 1979 bis 1991. In seine Zeit als Präsident des Quartiervereins (1984-1994) fällt die Schaffung der Präsidentenkonferenz der städtischen Quartiervereine.
"Die Zusammenarbeit mit der Stadt wurde stark ausgebaut," sagt Fischer rückblickend und erinnert an die legendären Muraltengut-Treffen mit dem Stadtrat. Mit grossem Elan nahm der
Quartierverein in den 1980er Jahren die Schaffung privater Altersheime in Angriff. Zwei grosse Wiedikerfeste schufen einen Grundstock für die Finanzierung. Das erste Altersheim
entstand an der Burstwiesenstrasse, dafür stellte die Stadt das Grundstück zur Verfügung, das zweite im Tiergartenareal, wo die Zürcher Ziegeleien unter Führung von Thomas
Schmidheiny günstiges Land anboten. Aus der Mitte des Quartiervereins entstand der Verein Altersheime Wiedikon, der mit prominenten Stadträten wie Ernst Bieri, Albert Sieber und
Hans Frick bestückt wurde. Die beiden Altersheime werden bis heute mit grossem Erfolg betrieben.
Laurenz Styger, Präsident des Quartiervereins (1994-2008), hier zusammen mit Hanspeter Haupt (links), Aktuar, und Madeleine Antosiewicz,
Vereinsbeauftragte. Bericht aus Zürich West vom 31. Januar 2008.
Fischers Nachfolger Laurenz Styger war wieder eher der volkstümliche Typ, von Beruf Wirt des Bergrestaurant Uto Staffel und Pächter
des Döltischihofes. Von Natur aus ein fröhlicher Mensch konnte er Leute für sich einnehmen und auch rhetorisch aufdrehen. Für manche war er auch ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen.
Styger vertrat den Kreis 3 von 1991 bis 2007 im Zürcher Kantonsrat – im Unterschied zu all seinen Vorgängern als Vertreter der SVP, einige Jahre sass er auch im Gemeinderat. Im
Hintergrund wirkte als sein Assistent Ernst Hänzi, der sich um die Kleinarbeit und die administrativen Belange kümmerte. Er trat nach dem
14-jährigen Präsidium von Styger 2008 dessen Nachfolge als Quartiervereinspräsident an. In der Ära Hänzi war der Quartierverein weniger öffentlich präsent, die Mitgliederzahl nahm
ab, bis sie erstmals seit den 1960er Jahren wieder unter die 500er Grenze fiel.