Einst galt sie als «Pesttangente» oder «Auspuff der Nation». Dann, im August 2010, wurde die vielbefahrene Weststrasse gesperrt und saniert; zusätzlich entstand im Dreieck
von West-, Sihlfeld- und Gertrudstrasse der lauschige Brupbacherplatz. Fast über Nacht erfuhr die bekannteste Strasse Wiedikons eine Aufwertung in städtebaulicher und ästhetischer
Hinsicht, vor allem aber als neu begehrte Wohnlage. Während sich Bewohnerinnen und Bewohner über die Verbesserung der Lebensqualität – weniger Lärm, Gestank und Verkehr, mehr
Beruhigung und Begrünung – freuten, machte in gewissen Kreisen das Wort von der bösen «Gentrifizierung» die Runde: Alteingesessene würden
vertrieben, könnten die Mieten nicht mehr bezahlen; skrupellose Immobilienhaie würden verlotterte Liegenschaften kaufen und luxussanieren, die sich nur noch reiche Expats und
begüterte Schweizer leisten könnten.
Doch das bequeme Klischee von der «Seefeldisierung» Wiedikons ist falsch. Das zeigt eine neue interessante Untersuchung des Zürcher Online-Magazins tsüri.ch Der Artikel von Manuela Paganini & Simon Jacoby bereitet Fakten auf über die Zusammensetzung der
Grundeigentümer an der Weststrasse, die Verkäufe von Liegenschaften und die Entwicklung der Bodenpreise. Basis ist die Auswertung der vollständigen Grundbuchdaten, die sich
das Stadtmagazin juristisch erstritten hat. Bestätigt wurde der vermutete Anstieg der Bodenpreise: im Quartier Sihlfeld zwischen 2010 und 2020 von rund 13'400 auf 34'200 Franken
pro Quadratmeter. Allerdings liegt dieser Anstieg in einem ähnlichen Rahmen wie jener an der Langstrasse, die keine vergleichbare Beruhigung erfahren hat.
Erstaunlich jedoch ist die Feststellung, dass zahlreiche Personen und Firmen sich die Bodenparzellen teilen. Es fehlen grosse Player, die viele Grundstücke besitzen und so «von den gestiegenen Bodenpreisen im Alleingang profitieren» könnten. Die total 75 bebauten Parzellen, die direkt an der Weststrasse liegen, gehören 69 verschiedenen Eigentümern, darunter 43 natürliche und 23 juristische Personen. «Nur 5 dieser 69 Partien können mehr als eine Parzelle ihr Eigentum nennen», schreiben die Autoren: darunter die Allreal Office AG mit drei Grundstücken sowie die Gewerkschaft Unia und die Stadt Zürich mit je zwei Parzellen. Von einer Monopolisierung des Immobilienmarktes kann also keine Rede sein.
Erstaunlich jedoch ist die Feststellung, dass zahlreiche Personen und Firmen sich die Bodenparzellen teilen. Es fehlen grosse Player, die viele Grundstücke besitzen und so «von den gestiegenen Bodenpreisen im Alleingang profitieren» könnten. Die total 75 bebauten Parzellen, die direkt an der Weststrasse liegen, gehören 69 verschiedenen Eigentümern, darunter 43 natürliche und 23 juristische Personen. «Nur 5 dieser 69 Partien können mehr als eine Parzelle ihr Eigentum nennen», schreiben die Autoren: darunter die Allreal Office AG mit drei Grundstücken sowie die Gewerkschaft Unia und die Stadt Zürich mit je zwei Parzellen. Von einer Monopolisierung des Immobilienmarktes kann also keine Rede sein.
Die zweite Überraschung: Der grösste Grundeigentümer ist mit fast 5'000 Quadratmeter Bodenfläche die Stadt Zürich, u.a. mit dem
Hauptsitz von Schutz und Rettung (Weststrasse 4). Der zweitgrösste ist die Swisscanto Anlagestiftung mit einer einzigen Wohnüberbauung im Umfang von ebenfalls gut 4'000 m2
(Weststrasse 40). Alle anderen Grundstücke sind deutlich kleiner als 2'000 m2 – etwa der markante Securitas-Hauptsitz an der Weststrasse 135. Auch hier dominiert die kleine
Parzellierung, nicht die Immobilien-Monokultur, wie sie in manchen städtischen Genossenschaftssiedlungen vorherrscht wie etwa im Friesenberg.
Die dritte Grafik der tsüri.ch-Recherche ist eigentlich die interessanteste. Sie zeigt, dass im Jahr 2007 – also drei Jahre vor der Verkehrsberuhigung am meisten Handänderungen stattgefunden haben. Jedoch auch dies nur in äusserst bescheidenem Umfang: Ganze 8 Liegenschaften haben den Besitzer gewechselt. Davor und danach fanden bloss 1 bis 4 Hausverkäufe pro Jahr statt. «Die Grafik zeigt, dass nach der Beruhigung keine Wechsel der Eigentümer/innen im grossen Stil passiert sind.» Einige Eigentümer haben zudem ihr Grundstück seit Jahrzehnten im Besitz, zum Beispiel die jüdische Gemeinde Agudas Achim, der das Land, auf dem sie 1959 ihre Synagoge erbaut hat, seit 1921 gehört.
Die dritte Grafik der tsüri.ch-Recherche ist eigentlich die interessanteste. Sie zeigt, dass im Jahr 2007 – also drei Jahre vor der Verkehrsberuhigung am meisten Handänderungen stattgefunden haben. Jedoch auch dies nur in äusserst bescheidenem Umfang: Ganze 8 Liegenschaften haben den Besitzer gewechselt. Davor und danach fanden bloss 1 bis 4 Hausverkäufe pro Jahr statt. «Die Grafik zeigt, dass nach der Beruhigung keine Wechsel der Eigentümer/innen im grossen Stil passiert sind.» Einige Eigentümer haben zudem ihr Grundstück seit Jahrzehnten im Besitz, zum Beispiel die jüdische Gemeinde Agudas Achim, der das Land, auf dem sie 1959 ihre Synagoge erbaut hat, seit 1921 gehört.
Auch in
diesem Haus am Brupbacherplatz hat der Vermieter auf eine Sanierung verzichtet, um die alten günstigen Mietzinsen zu belassen
In einem weiteren Punkt relativieren die Daten die im tsüri-Artikel geäusserte Befürchtung der Gentrifizierung: Trotz steigenden Mietpreisen hat kein Auszug aus dem Quartier stattgefunden. Die Bevölkerung des Sihlfeld-Quartiers nimmt nach jahrelanger leichter Abnahme seit der Beruhigung 2010
wieder deutlich zu. Zwar hat sich die Zusammensetzung verändert, indem die Zahl von Portugiesen und Serben zurückging, während jene der Briten anstieg. Doch die tsüri-Autoren
unterliegen einem Irrtum, wenn sie vermuten, dass «vor allem ärmere Menschen ohne Schweizer Pass weggezogen, während besserverdienende Schweizer und Expats in die neu sanierten
Wohnungen eingezogen sind.» Die NZZ hatte nämlich vor einem Jahr die Steuerdaten der Weststrasse-Bewohner untersucht und war zum Schluss gekommen: «Vergleicht man das Jahr 2008
mit dem Jahr 2015, zeigt sich zwar, dass die Zahl jener mit einem steuerbaren Einkommen von 100'000 Franken und mehr deutlich zugenommen hat, von 35 auf 88. Gleichzeitig bietet
die Weststrasse aber auch mehr Platz für Geringverdiener. Die Zahl der Personen, die gar nichts oder maximal 30'000 Franken versteuern, wuchs nämlich von 213 auf 326 an.» Lesen
Sie dazu den Artikel aus der NZZ vom 31. Januar 2020.
Gegen die Gentrifizierungsthese spricht schliesslich, dass etliche Personen, die vor der Weststrassen-Schliessung dorthin gezogen sind, heute noch dort zu günstigen Mietpreisen leben. So weiss der Quartierverein von Vermietern, die auf Wunsch ihrer Mieter auf eine Sanierung verzichtet haben. Mit dem Resultat, dass manche Mieterinnen und Mieter zu den früheren günstigen Bedingungen in zwar ältlichen Wohnungen hausen, die aber durch die Verkehrsberuhigung real aufgewertet worden sind. «Darüber spricht einfach niemand», sagt dazu alt Stadtrat Martin Waser (SP), der als Tiefbauvorsteher seinerzeit an der Weststrassen-Beruhigung mitgewirkt hat. Der Quartierverein berichtete darüber (Die Weststrasse – zehn Jahre nach der Beruhigung).
Gegen die Gentrifizierungsthese spricht schliesslich, dass etliche Personen, die vor der Weststrassen-Schliessung dorthin gezogen sind, heute noch dort zu günstigen Mietpreisen leben. So weiss der Quartierverein von Vermietern, die auf Wunsch ihrer Mieter auf eine Sanierung verzichtet haben. Mit dem Resultat, dass manche Mieterinnen und Mieter zu den früheren günstigen Bedingungen in zwar ältlichen Wohnungen hausen, die aber durch die Verkehrsberuhigung real aufgewertet worden sind. «Darüber spricht einfach niemand», sagt dazu alt Stadtrat Martin Waser (SP), der als Tiefbauvorsteher seinerzeit an der Weststrassen-Beruhigung mitgewirkt hat. Der Quartierverein berichtete darüber (Die Weststrasse – zehn Jahre nach der Beruhigung).