Quartierverein Wiedikon

Miethölle unten, Mieterparadies oben

Gutbesuchte Veranstaltung «Statistik um 12» vom 22. November im Stadthaus Gutbesuchte Veranstaltung «Statistik um 12» vom 22. November im Stadthaus
Statistik Stadt Zürich (SSZ) gehört zu den innovativsten Abteilungen der städtischen Verwaltung. Kürzlich hat sie neue Zahlen zu den Wohnungsmieten in der Stadt Zürich publiziert. Vorgestellt hat sie die neu konzipierte Mitpreiserhebung (MPE) für die Stadt Zürich in einer Mittagsveranstaltung im Stadthaus – unter dem Titel Statistik um 12. Zur rund dreiviertelstündigen öffentlichen Veranstaltung sind kaum Medienleute, jedoch viele interessierte Stadtbewohner erschienen. Im Konzertsaal im vierten Stock folgten letzten Dienstag, 22. November, über 70 Anwesende den Ausführungen von Urs Rey (Leiter MPE) und Alex Martinovits (Stadtentwicklung).

«Es ist die erste solche Veröffentlichung seit 2006» sagte Rey zu Beginn. Mit der breit angelegten Untersuchung wurden die Mietpreise in der Stadt Zürich für den Stichmonat April 2022 erhoben. Die Daten stammen von Immobilienverwaltungen (rund 69'000 Mietpreise) und einer ergänzenden Zufallsstichprobe (rund 7'000 Preise). Basis bilden also rund 76'000 Wohnungen. Ausgewertet wurden die Mietpreise von 2-, 3- und 4-Zimmer-Wohnungen, die rund 80 Prozent aller Wohnungen in der Stadt Zürich ausmachen. Das Total aller 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen in der Stadt umfasst 161'800 Einheiten, davon sind 49'000 gemeinnützig und 113'000 nicht gemeinnützig (= übrige Wohnungen).
Urs Rey erläutert die Mietpreiserhebung 2022
Urs Rey erläutert die Mietpreiserhebung 2022
SSZ-Co-Direktor Mauro Baster
SSZ-Co-Direktor Mauro Baster
Zu den gemeinnützigen Wohnungen zählen jene, die im Besitz von Stadt, Genossenschaften, Vereinen und Stiftungen sind und nach dem Prinzip der Kostenmiete bewirtschaftet werden. Ein Teil davon ist subventioniert, etwa durch die öffentliche Hand. Die Kostenmiete umfasst im Wesentlichen die Schuldzinsen, Verwaltungskosten, den Unterhalt, Werterhalt sowie Rückstellungen zur Erneuerung. Bei den übrigen Wohnungen handelt es sich um Wohnungen von Privateigentümern und institutionellen Anlegern, die nach dem Prinzip der Marktmiete (Angebot und Nachfrage) bewirtschaftet werden. Sie sind grundsätzlich nicht subventioniert und bilden die Mehrzahl aller städtischen Wohnungen.

Allgemeiner Preisanstieg bei 40 Prozent

Tabelle 1: Veränderung Nettomietpreise 2000 – 2022 Tabelle 1: Veränderung Nettomietpreise 2000 – 2022
Da die Mietpreise in dieser Form erstmals 2006 erhoben wurden, ist ein zeitlicher Vergleich nur sehr pauschal möglich. Gemäss SSZ sind die Wohnungsmieten zwischen 2000 und 2022 um rund 40 Prozent gestiegen, die gemeinnützigen zwischen 22 und 35 Prozent, die übrigen um rund 43 Prozent (Tabelle 1). Grund für die Preissteigerung in diesen zwei Jahrzehnten sind gemäss Rey zur Hälfte überwälzbare Kosten (Inflation, Unterhalt) und Anpassung an Quartierüblichkeit, zur Hälfte die Verjüngung des Wohnungsbestandes (Abbruch, Neubau) sowie die Vergrösserung von Wohnflächen. Leider lassen sich kaum detaillierte Aussagen zu Standort (Quartier), Verkehrslage, Siedlungsart (Arbeitsplätze, «Schlafquartier»), sozialer Zusammensetzung usw. machen. Dazu fehlen chronologische Zahlenreihen und andere Vergleichswerte. Eine Fortführung der sehr differenzierten MPE 2022 im Jahres- oder Zweijahresrhythmus ist nach Aussage von SSZ-Co-Direktor Mauro Baster jedoch «denkbar».
Tabelle 2: Nettomietpreise 2022 ganze Stadt und Kreis 3 Tabelle 2: Nettomietpreise 2022 ganze Stadt und Kreis 3
Die Momentaufnahme für 2022 fördert dennoch interessante Erkenntnisse zutage. Die gesamte MPE ist hier zu finden. Wir beschränken uns im Folgenden auf Bezüge zu Wiedikon. Die Netto-Wohnungsmieten von gemeinnützigen Wohnungen in der ganzen Stadt präsentieren sich wie folgt: Medianwert für 2-Zimmer-Wohnungen CHF 868, für 3-Zimmer CHF 964, für 4-Zimmer CHF 1295. Median bedeutet den Wert, der die Mietpreise in zwei gleiche Hälften teilt: die eine Hälfte der Mietpreise ist tiefer, die andere höher. Interessant ist nun, dass im Kreis 3 die Preise für gemeinnützige Wohnungen deutlich tiefer als im städtischen Durchschnitt liegen (Tabelle 2). Nämlich für 2-Zimmer bei CHF 781, für 3-Zimmer bei CHF 852, für 4-Zimmer bei CHF 1276. Dies hat vor allem mit der grossen Zahl gemeinnütziger Wohnungen im Friesenberg zu tun (siehe weiter unten).

Anders sieht das Bild bei den übrigen Wohnungen aus. Hier liegt der städtische Median für 2-Zimmer bei CHF 1466 (Kreis 3: 1401), für 3-Zimmer bei CHF 1713 (Kreis 3: 1710), für 4-Zimmer bei CHF 2171 (Kreis 3: 2169). Mit anderen Worten heisst dies, dass bei den übrigen Wohnungen – also jenem auf dem freien Markt – sich die Preise im Kreis 3 praktisch auf dem städtischen Niveau beziehungsweise nur leicht darunter bewegen.

Alt-Wiedikon liegt deutlich über städtischem Preisniveau

Tabelle 3: Nettomietpreise 2022 ganze Stadt und Alt-Wiedikon, Friesenberg, Sihlfeld Tabelle 3: Nettomietpreise 2022 ganze Stadt und Alt-Wiedikon, Friesenberg, Sihlfeld
Noch interessanter wird der Vergleich innerhalb des Stadtkreises 3. Leider sind hier die Nettomietpreise nicht nach gemeinnützigen und übrigen Wohnungen aufgeschlüsselt; die Tabelle 3 zeigt also nur Unterschiede beim Vergleich aller Wohnungen (d.h. gemeinnützige und übrige) zwischen den drei Quartieren Alt-Wiedikon, Friesenberg und Sihlfeld.

Im Quartier Alt-Wiedikon liegt der Median für 2-Zimmer bei CHF 1389 (ganze Stadt: 1336), für 3-Zimmer bei 1790 (ganze Stadt: 1470!) und für 4-Zimmer bei CHF 2086 (ganze Stadt: 1787). Mit anderen Worten liegen die Nettomietpreise für alle Wohnungen in Alt-Wiedikon teilweise bis CHF 300 über den gesamtstädtischen Werten. Wie kann das sein? Einzelne Wohnlagen wie etwa an der Wiedingstrasse – mit Blick über die Dächer von Aussersihl bis zum Zürichberg – sind höchstens von anekdotischer Evidenz, aber kaum repräsentativ. Eine faktenbasierte Erklärung wäre wohl nur mit Tiefendaten möglich. Auch Urs Rey vermag auf Anfrage nicht weiterzuhelfen. Aus Sicht des Quartiervereins ist hier noch ein Rätsel zu lösen.

Das Quartier Sihlfeld dagegen bewegt sich nahe bei den städtischen Werten oder leicht darunter. Hier liegt der Median für 2-Zimmer bei CHF 1297 (ganze Stadt s.o.), für 3-Zimmer bei CHF 1471, für 4-Zimmer bei CHF 1650. Dass gerade die Vierzimmer-Wohnungen im Sihlfeld im Schnitt über 130 Franken günstiger sind als in der ganzen Stadt, ist vor allem deshalb verwunderlich, weil sich hier nach populärer Meinung die «luxussanierte» Wohnzone Weststrasse befindet. Dass die «Hochpreisinsel Weststrasse» eine Mär ist, hat der Quartierverein bereits früher dargestellt («Wenn die Tagesschau schludrig recherchiert und Klischees verbreitet»).

Friesenberg eines der günstigsten Wohnquartiere Zürichs

Erheblich unter dem städtischen Preisniveau befindet sich allerdings das Quartier Friesenberg. Hier liegt der Median für 2-Zimmer bei CHF 932 (ganze Stadt s.o.), für 3-Zimmer bei CHF 1107, für 4-Zimmer bei CHF 1332. Die Wohnungen im Friesenberg kosten in allen Wohnkategorien CHF 350 bis 450 weniger als im Durchschnitt der Stadt. Sie sind sogar CHF 450 bis 750 (!) günstiger als in Alt-Wiedikon. Auch wenn diese Differenz kaum zu erklären ist, drängt sich ein Schluss auf: Alt-Wiedikon bildet die Miethölle, der Friesenberg das Mieterparadies. Eine Erklärung dafür ist sicherlich der sehr hohe Anteil von Genossenschaftswohnungen. Die Familienheimgenossenschaft FGZ sowie die Heimgenossenschaft Hegi besitzen rund die Hälfte aller Wohnungen im Quartier. Offenbar bieten aber auch private Vermieter und Anlagestiftungen ihre Wohnungen – mit ebenfalls prächtigem Seeblick – zu viel moderateren Preisen an als im Rest des Kreises 3. Der Laie staunt und die Expertin wundert sich.
Mietparadies Friesenberg: FGZ-Siedlung Baumhaldenstrasse (Foto Karin Hofer / NZZ)
Mietparadies Friesenberg: FGZ-Siedlung Baumhaldenstrasse (Foto Karin Hofer/NZZ)
Auch bei den Quadratmeterpreisen gehört der Friesenberg (2. Feld von unten links) zu den günstigsten Wohnquartieren in Zürich
Auch bei den Quadratmeterpreisen gehört der Friesenberg (2. Feld von unten links) zu den günstigsten Wohnquartieren in Zürich