Haben sich Vorurteile einmal in Köpfen eingenistet, sind sie kaum mehr auszumerzen. Besonders eifrig werden Klischees zur
Zeit von linken Wohnungsaktivisten und, pardon, denkfaulen Medienschaffenden verbreitet. Das Schweizer Fernsehen SRF zum Beispiel strahlte bereits 2011, ein Jahr nach Schliessung
und Beruhigung der Zürcher Weststrasse, einen Beitrag aus, der dramatisch warnte: In «jedem zweiten Haus» hätten Mieter die Kündigung erhalten! «Alle Häuser» würden «luxussaniert», arme Leute «auf die
Strasse gestellt» und aus dem Quartier vertrieben! Aus der «dreckigsten Strasse von Zürich» solle eine «elegante Flaniermeile» werden. Ein Bericht vorgetragen im Tonfall höchster
Empörung, illustriert von Baggern, Kränen und Baugruben.
Hätte der klassenkämpferische Fernsehbeitrag der Realität entsprochen, wäre anderntags in Wiedikon der Mieterkampf ausgebrochen. Doch natürlich sieht die Wirklichkeit nüchterner aus: Eine «Gentrifizierung» (Vertreibung von Geringverdienenden) fand kaum statt – oder wenn, dann nur in homöopathischen Dosen. Der Quartierverein hat dies zweimal auf seiner Website thematisiert: «Die Weststrasse - zehn Jahre nach der Beruhigung» (31. Januar 2020) und «Das sind die Eigentümer der Weststrasse» (15. Januar 2021). Die beiden Beiträge stützten sich auf solide Recherchen der NZZ und von tsüri.ch ab, über deren Quelldaten wir teilweise verfügen.
Hätte der klassenkämpferische Fernsehbeitrag der Realität entsprochen, wäre anderntags in Wiedikon der Mieterkampf ausgebrochen. Doch natürlich sieht die Wirklichkeit nüchterner aus: Eine «Gentrifizierung» (Vertreibung von Geringverdienenden) fand kaum statt – oder wenn, dann nur in homöopathischen Dosen. Der Quartierverein hat dies zweimal auf seiner Website thematisiert: «Die Weststrasse - zehn Jahre nach der Beruhigung» (31. Januar 2020) und «Das sind die Eigentümer der Weststrasse» (15. Januar 2021). Die beiden Beiträge stützten sich auf solide Recherchen der NZZ und von tsüri.ch ab, über deren Quelldaten wir teilweise verfügen.
Inzwischen sind zehn Jahre vergangen. Noch immer aber ist der Sommer für Journalisten eine saure-Gurken-Zeit. Zudem waren
Juli und August 2021 verregnet und teils saukalt. Zum Glück kam in der «Tagesschau» jemand auf die Idee, die nachrichtenarme Zeit mit der Rubrik «Nach den Schlagzeilen»
aufzupeppen. Aktualität null, Rechercheaufwand bescheiden, einige bunte Bilder finden sich immer, ebenso ein paar prominente Köpfe. So erreichte auch den Präsidenten des
Quartiervereins anfangs Juli eine Anfrage der Tagesschau, doch bitte an einem «Rückblick» auf 10 Jahre Westtangente mitzuwirken. SRF-Korrespondentin Anna Wepfer versprach «einen Rundgang und ein Interview – immer mit Kamera».
Im Vorgespräch hatte der Quartiervereinspräsident seine Position umrissen: Von einer Gentrifizierung könne man bei der Weststrasse nicht sprechen. «Vergleicht man das Jahr 2008 mit dem Jahr 2015, zeigt sich zwar, dass die Zahl jener mit einem steuerbaren Einkommen von 100'000 Franken und mehr deutlich zugenommen hat, von 35 auf 88. Gleichzeitig bietet die Weststrasse aber auch mehr Platz für Geringverdiener. Die Zahl der Personen, die gar nichts oder maximal 30'000 Franken versteuern, wuchs nämlich von 213 auf 326 an.» Eine Auffassung, die der federführende SP-Stadtrat Martin Waser bereits vor zehn Jahren vertreten hatte.
Irgendwie scheinen diese Erkenntnisse an den Vorurteilen der Fernsehschaffenden abzuperlen. Als Ende Juli die Dreharbeiten am Brupbacherplatz begannen, war von einem «Rundgang» keine Rede mehr, auch nicht von einem «Interview». Zwar stellte die Reporterin mehrmals dieselbe Frage, an einer Begründung aber war sie nicht interessiert, ein Nachhaken «aus zeitlichen Gründen» nicht möglich. Von den halbstündigen Aufnahmen wurden exakt 15 Sekunden in den 3½ Minuten-Beitrag eingebaut. Die Zurückweisung der Gentrifizierungsthese wurde unterschlagen. Dafür blendete das Fernsehen eine Grafik ein, die an Schlichtheit kaum zu überbieten war: Der Anteil der Geringverdiener an der Weststrasse sei von 67% (1995) auf 38% (2015), also fast die Hälfte (!), zurückgegangen – Alarmismus pur wie vor 10 Jahren. Ohne Hinweis auf absolute, also reale Zahlen. Hier der ganze Tagesschau-Beitrag vom 12. August.
Im Vorgespräch hatte der Quartiervereinspräsident seine Position umrissen: Von einer Gentrifizierung könne man bei der Weststrasse nicht sprechen. «Vergleicht man das Jahr 2008 mit dem Jahr 2015, zeigt sich zwar, dass die Zahl jener mit einem steuerbaren Einkommen von 100'000 Franken und mehr deutlich zugenommen hat, von 35 auf 88. Gleichzeitig bietet die Weststrasse aber auch mehr Platz für Geringverdiener. Die Zahl der Personen, die gar nichts oder maximal 30'000 Franken versteuern, wuchs nämlich von 213 auf 326 an.» Eine Auffassung, die der federführende SP-Stadtrat Martin Waser bereits vor zehn Jahren vertreten hatte.
Irgendwie scheinen diese Erkenntnisse an den Vorurteilen der Fernsehschaffenden abzuperlen. Als Ende Juli die Dreharbeiten am Brupbacherplatz begannen, war von einem «Rundgang» keine Rede mehr, auch nicht von einem «Interview». Zwar stellte die Reporterin mehrmals dieselbe Frage, an einer Begründung aber war sie nicht interessiert, ein Nachhaken «aus zeitlichen Gründen» nicht möglich. Von den halbstündigen Aufnahmen wurden exakt 15 Sekunden in den 3½ Minuten-Beitrag eingebaut. Die Zurückweisung der Gentrifizierungsthese wurde unterschlagen. Dafür blendete das Fernsehen eine Grafik ein, die an Schlichtheit kaum zu überbieten war: Der Anteil der Geringverdiener an der Weststrasse sei von 67% (1995) auf 38% (2015), also fast die Hälfte (!), zurückgegangen – Alarmismus pur wie vor 10 Jahren. Ohne Hinweis auf absolute, also reale Zahlen. Hier der ganze Tagesschau-Beitrag vom 12. August.
Mit Prozentzahlen ohne absolute Werte kann bekanntlich alles und das Gegenteil davon «bewiesen» werden. Warum das
Bezugsjahr 1995 und nicht 2005? Wie sieht die Entwicklung zwischen 1995 und 2015 aus? Offene Fragen. Also bitten wir die Fernsehfrau, uns wenigstens im Nachgang die Rohdaten für
ihre kühne Behauptung zu liefern. Die Antwort von Anna Wepfer ist so verblüffend wie irritierend: «Die absoluten Zahlen sind nicht Teil der Grafik und ich habe sie auch nicht
vorliegen.» Sie würden von der Stadt Zürich stammen.
Nächste Anfrage also bei Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung Zürich, die gemäss Tagesschau diese Grafik «aufbereitet» haben soll. Diese schreibt: «Uns liegen keine absoluten Zahlen zum Jahr 1995 vor». Man könne diese aber bei Statistik Stadt Zürich anfordern.
Dritter Anlauf zur Suche nach Rohdaten – direkt bei Statistik Stadt Zürich (SSZ). Nach einigen Tagen trifft die Antwort ein: «Die 1995er Rohdaten sind bei uns nicht mehr in der Steuer-Datenbank hinterlegt.» Es handle sich um historische Daten, mit denen «wir keine Berechnungen mehr anstellen können.» Die Anzahl der Steuerpflichtigen sei erst ab 1999 ermittelbar. Hoppla, exakt diese Berechnung hat aber die Tagesschau ihrem Publikum mit der seltsamen Grafik präsentiert. Sowas nennt man «Fake News», liebe Tagesschau, da unüberprüfbar und unbrauchbar!
Darum publizieren wir hier die neusten von SSZ zur Verfügung gestellten Zahlen.
Die Angaben des Quartiervereins sind ebenfalls zu korrigieren, weil gemäss Statistikamt Steuerzahlen aufgrund definitiver Veranlagungen in den Folgejahren laufend angepasst («revidiert») werden. Die oben (im 4. Absatz) zitierten Zahlen verändern sich deshalb wie folgt: Die Zahl der Gutverdienenden (über 100'000 steuerbares Einkommen) hat von 27 (2008) auf 95 (2015) Personen deutlich zugenommen. Die Zahl der Geringverdienenden (unter 30'000 Einkommen) hat sich dagegen von 242 (2008) auf 259 (2015) nur leicht erhöht. Der Sachverhalt aber bleibt derselbe: Eine «Vertreibung» von Armen, wie es gemäss Gentrifizierung zu erwarten gewesen wäre und von SRF gross verkündet wurde, hat nicht stattgefunden. Denn die Gesamtzahl der an der Weststrasse wohnenden Personen (nicht identisch mit der Anzahl Steuerpflichtiger) ist zwischen 2008 (1149 Personen) und 2015 (1150) praktisch gleichgeblieben.
Der Befund würde sich auch nicht ändern, wenn als Vergleich das Jahr 2005 herangezogen würde, als noch keine Sperrung in Aussicht stand.
Damit steht fest: Das von der Tagesschau verbreitete Klischee hält einer Überprüfung nicht stand. Trotz Zahlen- und Grafikakrobatik. Wo statt journalistische Neugier Vorurteile dominieren, prallen Fakten an ideologischen Behauptungen ab. Ein Armutszeugnis für das nationale Medium SRF.
Nächste Anfrage also bei Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung Zürich, die gemäss Tagesschau diese Grafik «aufbereitet» haben soll. Diese schreibt: «Uns liegen keine absoluten Zahlen zum Jahr 1995 vor». Man könne diese aber bei Statistik Stadt Zürich anfordern.
Dritter Anlauf zur Suche nach Rohdaten – direkt bei Statistik Stadt Zürich (SSZ). Nach einigen Tagen trifft die Antwort ein: «Die 1995er Rohdaten sind bei uns nicht mehr in der Steuer-Datenbank hinterlegt.» Es handle sich um historische Daten, mit denen «wir keine Berechnungen mehr anstellen können.» Die Anzahl der Steuerpflichtigen sei erst ab 1999 ermittelbar. Hoppla, exakt diese Berechnung hat aber die Tagesschau ihrem Publikum mit der seltsamen Grafik präsentiert. Sowas nennt man «Fake News», liebe Tagesschau, da unüberprüfbar und unbrauchbar!
Darum publizieren wir hier die neusten von SSZ zur Verfügung gestellten Zahlen.
Die Angaben des Quartiervereins sind ebenfalls zu korrigieren, weil gemäss Statistikamt Steuerzahlen aufgrund definitiver Veranlagungen in den Folgejahren laufend angepasst («revidiert») werden. Die oben (im 4. Absatz) zitierten Zahlen verändern sich deshalb wie folgt: Die Zahl der Gutverdienenden (über 100'000 steuerbares Einkommen) hat von 27 (2008) auf 95 (2015) Personen deutlich zugenommen. Die Zahl der Geringverdienenden (unter 30'000 Einkommen) hat sich dagegen von 242 (2008) auf 259 (2015) nur leicht erhöht. Der Sachverhalt aber bleibt derselbe: Eine «Vertreibung» von Armen, wie es gemäss Gentrifizierung zu erwarten gewesen wäre und von SRF gross verkündet wurde, hat nicht stattgefunden. Denn die Gesamtzahl der an der Weststrasse wohnenden Personen (nicht identisch mit der Anzahl Steuerpflichtiger) ist zwischen 2008 (1149 Personen) und 2015 (1150) praktisch gleichgeblieben.
Der Befund würde sich auch nicht ändern, wenn als Vergleich das Jahr 2005 herangezogen würde, als noch keine Sperrung in Aussicht stand.
Damit steht fest: Das von der Tagesschau verbreitete Klischee hält einer Überprüfung nicht stand. Trotz Zahlen- und Grafikakrobatik. Wo statt journalistische Neugier Vorurteile dominieren, prallen Fakten an ideologischen Behauptungen ab. Ein Armutszeugnis für das nationale Medium SRF.