Quartierverein Wiedikon

Familienheimgenossenschaft wird 100 Jahre alt

Weit über 50 Interessierte waren Ende März zur Vernissage des Buches «Familienheim-Genossenschaft Zürich 1924 bis 2024» (FGZ Eigenverlag, Zürich 2024) in den Saal des Genossenschaftshauses an der Schweighofstrasse gekommen. FGZ-Präsidentin Karin Schulte – die erste Frau in diesem Amt – freute sich, ein «Familienalbum» der besonderen Art zu präsentieren: den grossformatigen Text-Bild-Band zur Gründung, Geschichte und dem Wirken der grossen Baugenossenschaft am Fuss des Uetliberg. Erarbeitet wurde das Buch von sechs FGZ-Mitgliedern, basierend auf dem reichhaltigen FGZ-Archiv und Gesprächen mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Siedlung.
Vernissage des FGZ-Buches am 26. März 2024 im «Gnossi-Haus»
Vernissage des FGZ-Buches am 26. März 2024 im «Gnossi-Haus»
Alfons Sonderegger (FGZ-Präsident 1997-2017) vor Karin Schulte (Mitte), FGZ-Präsidentin ab 2018
Alfons Sonderegger (FGZ-Präsident 1997-2017) vor Karin Schulte (Mitte), FGZ-Präsidentin ab 2018
Schultes Vorgänger Alfons Sonderegger (FGZ-Präsident von 1997 bis 2017) sass ebenfalls im Publikum, gehört er doch zum Autorenteam, das Schulte mit warmen Worten vorstellte. Drei von 12 Kapiteln stammen aus seiner Feder, sie bilden das fundierte und zahlenbasierte historische Gerüst dieses Gemeinschaftswerks, angereichert mit klugen Kommentaren. Dazu kommen mehrere Bildpassagen (Blick von oben, Wohnen, Gemeinschaft, Verkehr, Quartierspaziergang, FGZ im Bau), ein weiteres Geschichtskapitel über die Krisen- und Kriegsjahre von Monika Zumbrunn, ein Gespräch mit Jugendlichen und eines zwischen zwei aktiven Vorstandsmitgliedern.

Die heute 100-jährige Baugenossenschaft besitzt 2'300 Wohnungen – die Hälfte des gesamten Wohnungsbestands im Friesenbergquartier – und ist nach der ABZ die zweitgrösste Baugenossenschaft in der Stadt Zürich. In 24 Bauetappen hat sie ihre Gebäude in einem zusammenhängenden Perimeter gebaut. Intensiv waren die Jahre 1925 bis 1935 (550 Wohnungen) und 1943 bis 1960 (1300 Wohnungen). Obwohl die Bodenpreise in der Nachbarschaft und in angrenzenden Quartieren ebenso wie in der ganzen Stadt gestiegen sind, kann die FGZ, weil sie die Quadratmeterpreise in ihrer Buchhaltung künstlich tief hält, auch die Mieten preisgünstig anbieten. Ein Umstand, um den viele Kreis 3-Bewohner ihre Nachbarn auf dem Hügel beneiden. Alfons Sonderegger streicht denn auch diesen Vorzug gebührend heraus.
Bau der Etappe 19 an der Arbentalstrasse (1960)
Bau der Etappe 19 an der Arbentalstrasse (1960)
Ersatzneubau Grünmatt von 2014, dahinter Friesenberghalde von 1969 und Schrebergärten
Ersatzneubau Grünmatt von 2014, dahinter Friesenberghalde von 1969 und Schrebergärten
Neben «bezahlbaren» Mieten, die vor allem Geringverdienenden zugute kommen sollen, weist die FGZ noch andere Trümpfe auf: ein in der Aera Sonderegger aufgebautes pionierhaftes Abwärmenetz, wobei die Abwärme ironischerweise vom ideologisch eher verpönten Uetlihof der Credit Suisse stammt, der ausserhalb des Quartiers liegt. Eine Vorreiterrolle spielte die FGZ auch beim Bau der ersten Mehrfamilienhäuser aus Holz in der Stadt Zürich (2003) sowie beim hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen: 25,6% aller Siedlungsbewohner sind 18-jährig oder jünger. Alles Gründe zu Freude und Stolz, wie es das «Familienalbum» zu Recht zum Ausdruck bringt.

Gibt’s auch Mängel, Probleme, Missstände, fragt man sich nach so viel Selbstlob. Oh, ja, so ist etwa ein geplanter Deal der FGZ mit der linken Stadtregierung zur Schaffung von mehr Wohnraum 2020 grandios gescheitert. Zu Fall gebracht vom Stadtzürcher Heimatschutz, der via Bundesgericht erwirkt hat, dass die Gründerhäuser von 1925 nicht einfach für einen Ersatzneubau abgerissen werden können. Das tat der FGZ-Leitung weh, während sich einige Bewohner darüber «riesig gefreut» haben (wie der Quartierverein weiss). Ebenfalls nicht ins Bild der «progressiven» Siedlung passt die überdurchschnittlich hohe Autodichte (48% der Haushalte verfügen über mindestens ein Auto). Das wird im Buch in einem fetten Kasten allerdings flugs umgedeutet: «52% der Haushalte im Friesenberg haben kein Auto».
Der FGZ-Siedlungsplan mit allen 25 Bauetappen von 1924 bis 2019
Der FGZ-Siedlungsplan mit allen 25 Bauetappen von 1924 bis 2019
Denkmalgeschützes Haus der Gründeretappe 1 von 1925 an der Pappelstrasse 8/10
Denkmalgeschützes Haus der Gründeretappe 1 von 1925 an der Pappelstrasse 8/10
Etwas verschämt wird auch eingeräumt, dass der Ausländeranteil in der FGZ heute bloss 13% betrage. Während er in Alt-Wiedikon, im Sihlfeld und in der Stadt Zürich mehr als doppelt so hoch ist, nämlich bei rund 30% liegt. Der Grund dafür ist in den frühen Protokollen der FGZ zu finden, wo steht, dass der Ausländeranteil nicht mehr als 10 Prozent betragen solle, «da doch vor allem Schweizerfamilien berücksichtigt werden». Diese latent ausländerfeindliche Haltung versucht die FGZ-Leitung seit mehreren Jahren zu entschärfen – mit mässigem Erfolg, wie die Zahlen von 2022 zeigen.

Als Aussenstehender vermisst man Ausführungen zu den prägenden Personen der FGZ-Geschichte. So wird zwar (unnötig lang) über den ersten abgesetzten Präsidenten Albert Schneider geschrieben. Doch über die Meriten des Langzeit-Präsidenten Jakob Peter (1926-1965) erfährt man ausser einer kärglichen Bildlegende fast nichts; weder erhält er eine Kurzbiografie noch eine angemessene Würdigung. Warum eigentlich? Der Mitgründer der Familienheim-Genossenschaft war eine gereifte Persönlichkeit mit feinem Humor, engagierter Lehrer, populärer SP-Stadtrat und Namensgeber einer Strasse im Quartier. Mehr über den legendären «Vater des Friesenbergs» ist einem Kurzporträt des Quartiervereins von 2021 zu entnehmen.
FGZ-Vorstandsmitglieder Katrin Büsser und Sascha Haltinner im Gespräch über Probleme und Herausforderungen FGZ-Vorstandsmitglieder Katrin Büsser und Sascha Haltinner im Gespräch über Probleme und Herausforderungen
Wie lautet nun die Bilanz nach 100 Jahren: Ist die FGZ immer noch eine «Gartenstadt», ein organisch gewachsenes Biotop? Oder haben Kritiker recht, die von einer Schlafstadt reden, zu der man kaum Zugang finde? Kriegt nur jemand eine Wohnung, der dort aufgewachsen ist, gute Beziehungen zur «Gnossi-Szene» pflegt oder unglaubliches Glück hat? Und ist die von Alfons Sonderegger gepflegte Idee eines «15-Minuten-Quartiers», in dem man in einer Viertelstunde zu Fuss die Einkäufe erledigt, die Freizeit verbringt, den Arbeitsplatz erreicht und in dem nur noch Velos und öffentliche Busse verkehren, mehr als ein romantischer Traum?

Auf einige dieser Fragen gibt das erstaunlich offene, selbstkritische Gespräch zwischen den Vorstandsmitgliedern Katrin Büsser (1976, Co-Präsidentin Baukommission) und Sascha Haltinner (1981, Präsident Vermietungskommission) am Schluss des Buches Antworten. Ein grosses Problem sei etwa, dass pro Jahr nur ein paar Dutzend Neuzuzüge in die Siedlung erfolgen, weil FGZ-Mitglieder faktisch ein Wohnrecht besitzen. Selbst bei Unternutzung oder übersetztem Einkommen kann einem Mieter oder einer Mieterin nicht gekündigt, höchstens ein Wechsel empfohlen werden. «Wir können niemanden rauswerfen, nur weil er oder sie ein hohes Einkommen hat», sagt Haltinner. Eine Herausforderung seien auch Trennungen, weil Betroffene keine zwei neuen Wohnungen finden, aber von der FGZ eine Lösung erwarten. Unumwunden räumen die Beiden auch ein, dass «die FGZ ein Lärm-, Abfall- und Sicherheitsproblem insbesondere auf dem Friesenbergplatz» hat. Immerhin, solange die FGZ auf solch pragmatisch-kritische Führungskräfte zählen kann, braucht man sich um die Genossenschaft kaum Sorgen zu machen.

In diesem Sinne: Happy birthday, liebe FGZ, wir wünschen alles Gute für die nächsten 100 Jahre!

Fotos: Sebastian Doerk, Hans-Jürg Baum, Johannes Marx, Archiv FGZ