Geschichtsserie 2021 (3)
Turn- und Spielplatz für alle Zeiten? Die Aegertenwiese, angrenzend an die noch durchgehende Erlachstrasse, vorne rechts Aegerten-Turnhalle, um ca. 1920
Wissen Sie, wer in Wiedikon zwischen den beiden Weltkriegen (1918 bis 1939) die ersten Grünen waren? Richtig, es war der
Quartierverein! Das zeigt beispielhaft der Kampf um die Aegertenwiese zwischen 1936 und 1944.
Aegertenwiese 100 Jahre später, von der Manessestrasse aus gesehen. Im Hintergrund: Turnhalle (gelb), Schulhaus (blau) und Züri-Modular-Pavillon (braun)
Die Aegertenwiese war ursprünglich Teil der grossen «Aegerten», die sich von der Sihl bis zum Dorfkern Wiedikons erstreckte. Das Land gehörte der Bürgergemeinde Wiedikon.
Zwischen 1830 und 1875 war das Areal als Exerzierplatz an die Kantonsregierung verpachtet. 1834 diente es als Festplatz des ersten eidgenössischen Schützenfestes, das gegen 30'000
Besucherinnen und Besucher anzog. Auch das alte Velodrom befand sich darauf. 1873 baute die Gemeinde am westlichen Rand das noch heute benutzte Aegerten-Schulhaus mit sechs
Schulzimmern. Ein Teil des Weidelandes wurde ebenfalls überbaut und von neuen Strassen und der Kanalisation erschlossen. 1893 bei der Eingemeindung Wiedikons ging die
Aegertenwiese in den Besitz der Stadt Zürich über. Am 6. Juli 1898 trug die Stadt sie als Turn- und Spielplatz in das «Verzeichnis der nicht realisierbaren Aktiven» ein. «Durch
diesen Beschluss», schrieb der Quartierverein später, «glaubten wir Anstösser und Wiediker, die Aegertenwiese sei als Turn- und Spielplatz für alle Zeiten gesichert».
Doch weit gefehlt. Im Jahr 1936 verkaufte die Stadt einen Teil der Parzelle längs der Manessestrasse für private Bauzwecke. «Damit wurde gerade der schönste Teil preisgegeben», schrieb dazu «Die Tat», die Zeitung des Landesrings der Unabhängigen. Im gleichen Jahr wurde ein weiteres Baugespann für einen Häuserblock von der Aegerten bis zur Zurlindenstrasse aufgestellt. Das sozialdemokratische «Volksrecht» begrüsste das Vorhaben: «Wo Bauten möglich sind, sollte man sie ausführen» – im Interesse der Arbeiter und des Gewerbes. «Für uns Arbeiter wäre jede Arbeit insofern wertvoll, als viele noch gar keine oder nur sehr wenig Arbeitstage in diesem Jahr aufzuweisen haben», schrieb die SP-Zeitung im August 1936. Dass der Platz dadurch verschandelt werde, sei «blauer Dunst».
Doch weit gefehlt. Im Jahr 1936 verkaufte die Stadt einen Teil der Parzelle längs der Manessestrasse für private Bauzwecke. «Damit wurde gerade der schönste Teil preisgegeben», schrieb dazu «Die Tat», die Zeitung des Landesrings der Unabhängigen. Im gleichen Jahr wurde ein weiteres Baugespann für einen Häuserblock von der Aegerten bis zur Zurlindenstrasse aufgestellt. Das sozialdemokratische «Volksrecht» begrüsste das Vorhaben: «Wo Bauten möglich sind, sollte man sie ausführen» – im Interesse der Arbeiter und des Gewerbes. «Für uns Arbeiter wäre jede Arbeit insofern wertvoll, als viele noch gar keine oder nur sehr wenig Arbeitstage in diesem Jahr aufzuweisen haben», schrieb die SP-Zeitung im August 1936. Dass der Platz dadurch verschandelt werde, sei «blauer Dunst».
Stadtrat will Grünfläche überbauen
Ganz anders sahen dies die Lehrerschaft des Schulhauses Aegerten sowie der Quartierverein Wiedikon. Präsident
Hans Kleiner, der seit 1928 den Quartierverein leitete, und QV-Sekretär Ruedi Schönenberger
schrieben in einer Eingabe an die Stadt vom 28. Juli 1936 von einer «ziemlich weitgehenden Erregung der Gemüter» und zahlreichen Anfragen und Einsprachen aus dem Quartier. Der Bau
eines Wohnblocks riegle das Schulhaus vom Spiel- und Sportplatz ab. Es sei keine gute Idee, den bisher idealen Zustand «um des Geldes willen zu zerstören». Auch alt Sekundarlehrer
Arnold Schaufelberger, der an der Gotthelfstrasse wohnte, wehrte sich gegen das Projekt. Gleichzeitig brachte der freisinnige Wiediker
FDP-Gemeinderat Albert Sieber, später Stadtrat und Polizeivorstand, das städtische Projekt mit einer Interpellation im Gemeinderat zu Fall.
Der Quartierverein dankte den Beiden am 7. Oktober 1936 für ihren Einsatz. Die konzertierte Aktion hatte Erfolg, indem der Stadtrat nicht nur auf den bereits perfekten Verkauf
verzichtete, sondern erneut versprach, den restlichen Platz als Spielwiese zu reservieren. Um die Wiese zu arrondieren, wurde 1941 sogar das untere Teilstück der Dubsstrasse
aufgehoben und zum Aegertenareal geschlagen.
Doch sieben Jahre später drohte erneut Ungemach. Wiederum wandte sich der Quartierverein im Sommer 1943 mit einer Eingabe an den Stadtrat. Und wieder versprach dieser am 27. August 1943, den Wunsch nach «Erhaltung von Grünflächen im Quartier Wiedikon einer einlässlichen Prüfung zu unterziehen». Die Bevölkerung Wiedikons war inzwischen auf rund 46'000 Personen angewachsen, neuer Schulraum wurde dringend benötigt. So standen eines Tages erneut Baugespanne auf dem Aegertenareal, diesmal für einen Schulhaus-Neubau. In den lokalen Zeitungen von NZZ über «Tagesanzeiger», «Die Tat», das «Volksrecht», die katholischen «Neuen Zürcher Nachrichten» bis zur «Wiediker Post» entflammte eine heftige Diskussion. Dank den von Hans Kleiner abgelegten Akten und Presseausschnitten ist es möglich, dieses interessante lokalhistorische Kapitel zu beleuchten.
Doch sieben Jahre später drohte erneut Ungemach. Wiederum wandte sich der Quartierverein im Sommer 1943 mit einer Eingabe an den Stadtrat. Und wieder versprach dieser am 27. August 1943, den Wunsch nach «Erhaltung von Grünflächen im Quartier Wiedikon einer einlässlichen Prüfung zu unterziehen». Die Bevölkerung Wiedikons war inzwischen auf rund 46'000 Personen angewachsen, neuer Schulraum wurde dringend benötigt. So standen eines Tages erneut Baugespanne auf dem Aegertenareal, diesmal für einen Schulhaus-Neubau. In den lokalen Zeitungen von NZZ über «Tagesanzeiger», «Die Tat», das «Volksrecht», die katholischen «Neuen Zürcher Nachrichten» bis zur «Wiediker Post» entflammte eine heftige Diskussion. Dank den von Hans Kleiner abgelegten Akten und Presseausschnitten ist es möglich, dieses interessante lokalhistorische Kapitel zu beleuchten.
Ähnlich wie heute die sozialen Medien übten lokale Zeitungen damals eine Ventilfunktion aus, bei der sich auch gehässige
Töne Luft verschafften. Die FDP 3 sprach sich mehrheitlich gegen das Schulhausprojekt auf der Aegertenwiese aus, die Kreisparteien der SP und des Landesrings eher dafür. Die
sozialliberale «Tat» schrieb: «Die anerkennenswerte ‘Liebe zur Scholle’ darf nicht Fortschritt und Schönheit des Neuen verhindern.» Sie warf der bürgerlichen Opposition Alarmismus
und Demagogie vor.
Heftige Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie
Die heftigste Auseinandersetzung zwischen Befürworten und Gegnern tobte innerhalb der SP. Ende April 1944 schrieb das
«Volksrecht» von einem «Kahlschlag in Wiedikon». Leider hätte sich ein Teil der Arbeiter, Angestellten und Kleingewerbetreibenden «für das tolle Schulhausprojekt einseifen
lassen». In den «Herrenquartieren» Enge, Hirslanden, Hottingen oder Fluntern würde sich in einem solchen Fall ein Sturm der Entrüstung erheben. «Die Wiedikoner Arbeiterschaft»
täte gut daran, den Quartierverein in seinem Kampf zu unterstützen. – Nein, entgegnete darauf ein Genosse, der sich als «Laie» aus dem Quartier vorstellte. Die «magere Rossweide»
und das «asphaltierte Rechteck (der Aegertenplatz), auf dem ein paar Bäume und schäbige Bänklein stehen», seien sicherlich nicht das, was man unter Alt-Wiedikon verstehe. Ein so
«armseliges Flecklein» müsse man nicht um jeden Preis schützen, ein neues Schulhaus würde dagegen einen würdigeren Abschluss in diesem Häusergeviert bilden.
Emil Landolt (1895-1995),
Schulvorstand, später Stapi von Zürich, hier vor seiner Wahl in den Stadtrat 1942
Zwei Tage später geisselte die «Volksrecht»-Redaktion erneut die eigenen Genossen. Anscheinend dominiere bei den Befürwortern «proletarische Anspruchslosigkeit». Ein so
billiges Projekt werde offenbar nur für «Proletarierviertel wie Wiedikon» geplant, während «im Villenviertel Fluntern, wo die reichen Steuerzahler nisten» so etwas nie in Frage
käme. Sarkastisch meinte ein ungenannter Leitartikler: «Für die Wiedikoner Schuljugend sei das Billigste gut genug». Er bedauert, dass die eigenen Parteifreunde in der
Kreisschulpflege dem Projekt zugestimmt hätten.
Am 22. Mai 1944 organisierte der Quartierverein zusammen mit allen politischen Parteien im Kreis 3 eine öffentliche Veranstaltung im Zwinglihaus. Das Interesse war gewaltig: über 300 Personen drängten sich in den grossen Theatersaal. Die beiden Stadträte Emil Landolt (Schulvorstand), später legendärer «Stapi» von 1949 bis 1966, und Heinrich Oetiker (Bauvorstand) stellten das von Kreis- und Zentralschulpflege sowie vom Stadtrat unterstützte Projekt eines Schulhausneubaus auf der Aegertenwiese vor: ein zweistöckiges Schulgebäude an der Erlachstrasse mit zehn Klassenzimmern, eine Turnhalle, drei kleine Pavillons für Kindergärten und Tageshort. Das alte Aegerten-Schulhaus platze aus allen Nähten, hiess es.
Am 22. Mai 1944 organisierte der Quartierverein zusammen mit allen politischen Parteien im Kreis 3 eine öffentliche Veranstaltung im Zwinglihaus. Das Interesse war gewaltig: über 300 Personen drängten sich in den grossen Theatersaal. Die beiden Stadträte Emil Landolt (Schulvorstand), später legendärer «Stapi» von 1949 bis 1966, und Heinrich Oetiker (Bauvorstand) stellten das von Kreis- und Zentralschulpflege sowie vom Stadtrat unterstützte Projekt eines Schulhausneubaus auf der Aegertenwiese vor: ein zweistöckiges Schulgebäude an der Erlachstrasse mit zehn Klassenzimmern, eine Turnhalle, drei kleine Pavillons für Kindergärten und Tageshort. Das alte Aegerten-Schulhaus platze aus allen Nähten, hiess es.
Quartierverein stoppt umstrittenes Vorhaben
Die Diskussion wurde geleitet von QV-Präsident Hans Kleiner, der auch
FDP-Kantonsrat war und als Jurist bei der Kantonspolizei arbeitete. Weder persönliche noch materielle Gründe stünden für den Quartierverein im Spiel, sondern einzig das
Quartierinteresse, begründete er das Anliegen, «diese fast einzige noch verbliebene Grünfläche im Stadtkreis 3 vor der Überbauung frei- und der Nachwelt zu erhalten». Verschiedene
Votanten traten mit Nachdruck für die Erhaltung der prächtigen Linden- und Kastanienbäume auf der Aegerten ein und forderten vom Stadtrat, einen anderen Bauplatz für das neue
Schulhaus zu suchen.
Die Versammlung verlief zwar gesittet und ruhig, wie es hiess, aber hochemotional. Der Stadtrat hatte einen schweren Stand. Eine immer breiter werdende Opposition formierte sich gegen ein zweites Aegerten-Schulhaus: Quartierverein, Vereinskartell, eine Anwohnergruppe sowie verschiedene Architekten und Hausbesitzer. Zwar bezweifelte kaum jemand die Notwendigkeit eines weiteren Schulhaus-Neubaus, aber der Standort Erlachstrasse, die damals über Zurlinden- und Aegertenstrasse bis zur Weststrasse hinauf führte, war umstritten. Nach einer mehr als zweistündigen Redeschlacht sprach sich die übergrosse Mehrheit der Anwesenden klar für die Resolution des Quartiervereins aus: Mit 264 gegen 30 Stimmen wurde der Standort Aegertenwiese abgelehnt.
Wo und wann ein Ersatzneubau entstand, ist nicht ganz klar. Fakt aber ist, dass das von Stadtrat und Kreisschulpflege geplante Projekt auf der Aegertenwiese nie realisiert worden ist. Dieser Erfolg war dem nachhaltigen, ökologisch fundierten Einsatz des Quartiervereins zu verdanken. Die Ironie der Geschichte will es aber, dass zur Linderung der Raumnot des «alten» Aegerten-Schulhauses 66 Jahre später ein dreigeschossiger Züri-Modular-Pavillon errichtet wurde – exakt am Standort des gescheiterten zweiten Aegerten-Schulhauses. Mehr noch: Die Aegertenwiese wurde gar in die Bauzone (öffentliche Zone Oe5F) eingeteilt, wie der Zonenplan aufzeigt (siehe Karte). «Die Aegertenwiese kann überbaut werden», bestätigte Immobilien Stadt Zürich dem Quartierverein soeben auf Anfrage.
Die Versammlung verlief zwar gesittet und ruhig, wie es hiess, aber hochemotional. Der Stadtrat hatte einen schweren Stand. Eine immer breiter werdende Opposition formierte sich gegen ein zweites Aegerten-Schulhaus: Quartierverein, Vereinskartell, eine Anwohnergruppe sowie verschiedene Architekten und Hausbesitzer. Zwar bezweifelte kaum jemand die Notwendigkeit eines weiteren Schulhaus-Neubaus, aber der Standort Erlachstrasse, die damals über Zurlinden- und Aegertenstrasse bis zur Weststrasse hinauf führte, war umstritten. Nach einer mehr als zweistündigen Redeschlacht sprach sich die übergrosse Mehrheit der Anwesenden klar für die Resolution des Quartiervereins aus: Mit 264 gegen 30 Stimmen wurde der Standort Aegertenwiese abgelehnt.
Wo und wann ein Ersatzneubau entstand, ist nicht ganz klar. Fakt aber ist, dass das von Stadtrat und Kreisschulpflege geplante Projekt auf der Aegertenwiese nie realisiert worden ist. Dieser Erfolg war dem nachhaltigen, ökologisch fundierten Einsatz des Quartiervereins zu verdanken. Die Ironie der Geschichte will es aber, dass zur Linderung der Raumnot des «alten» Aegerten-Schulhauses 66 Jahre später ein dreigeschossiger Züri-Modular-Pavillon errichtet wurde – exakt am Standort des gescheiterten zweiten Aegerten-Schulhauses. Mehr noch: Die Aegertenwiese wurde gar in die Bauzone (öffentliche Zone Oe5F) eingeteilt, wie der Zonenplan aufzeigt (siehe Karte). «Die Aegertenwiese kann überbaut werden», bestätigte Immobilien Stadt Zürich dem Quartierverein soeben auf Anfrage.
Hoppla, wiederholt sich da die Geschichte? Und beginnt der Kampf um die Aegertenwiese von neuem? Fragen über
Fragen.