Quartierverein Wiedikon

Hermi Schumacher – ein Wiediker Urgestein

Hermann Schumacher (2020) Hermann Schumacher (2020)
Er hatte viele Spitznamen: «Ur-Wiediker», «wandelndes Lexikon», «Mister Vereinskartell» oder auch «Number One des Quartiervereins». Nun ist Hermann Schumacher im 93. Lebensjahr im Seniorama Burstwiese verstorben. Ein grosser Verlust für den Quartierverein und für die Wiediker Lokalgeschichte.

Hermi oder «Mandi» (wie er sich selbst nannte) wurde am 9. Mai 1933 als Ältester von fünf Geschwistern an der Haldenstrasse geboren. Später wohnte die Familie an der Ecke Birmensdorferstrasse/Höfliweg. Er besuchte die Primar- und Sekundarschule im Schulhaus Bühl. Absolvierte eine Lehre als Maler-Tapezierer und eröffnete mit 27 an der Schrennengasse sein erstes eigenes Geschäft. Von 1967 bis 2002 besass er zusammen mit seiner Frau Ruth das Farbwaren-Center und Schriftenatelier an der Aemtlerstrasse 32.

Hermis wahre Leidenschaft galt dem Wiediker Vereinswesen und der Lokalgeschichte. In zahlreichen Vereinen war er nicht nur Mitglied, sondern in Kaderfunktionen tätig: im Velo-Moto-Club Wiedikon, den er 10 Jahre präsidierte, im Ortsmuseum Wiedikon, in der Zunft zu Wiedikon, in der Vereinigung der Geschäftsleute Wiedikons (heute Gewerbe Zürich 3) und natürlich im Quartierverein Wiedikon, dessen Ehrenmitglied er 2019 wurde. Zwanzig Jahre lang (1979 bis 1999) arbeitete und lebte er für das Vereinskartell, den Dachverband von rund zwei Dutzend Wiediker Sport-, Musik-, Freizeit- und Wohltätigkeitsvereinen. Es war vielleicht sein wichtigstes Amt, das er 16 Jahre als Präsident ausübte. Doch Hermi war weit mehr als ein «Vereinsmeier», er war Organisator, Antreiber und passionierter Ehrenamtlicher. Für die damalige Zeit und erst recht heute keine Selbstverständlichkeit.
Führung für den Quartierverein (2018)
Führung für den Quartierverein (2018)
Vortrag über Wiedikon als Ziegeldorf im Ortsmuseum (Februar 2020)
Vortrag über Wiedikon als Ziegeldorf im Ortsmuseum (Februar 2020)
Dazu war Hermann Schumacher ein glänzender Erzähler, nicht nur bei Führungen im Quartier, sondern auch wenn er über eigene Erlebnisse berichtete. So habe er als 6-jähriger Bub einmal Adolf Hitler auf dem «Berghof» die Hand geschüttelt und dazu räsoniert: «Ich bin nöd das Hermännchen aus der Schweiz, ich bin de Mandi». Oder wenn er von Jugendstreichen im Pantoffelkino Royal an der Zweierstrasse erzählt, wo er eine Filmvorführung mit einer Spritzkanne vom Dachfenster aus realistisch mit «Regen» begleitet hat. Bei solchen und anderen Erlebnissen ist man verblüfft über seine präzise Erinnerung, seinen Schalk und seine Schlagfertigkeit.

Als Bub verdiente er sich sein Sackgeld durch Austragen der Zeitung «Tat» von Migros-Gründer Gottlieb «Dutti» Duttweiler, und durch den Verkauf selbstgemalter Bilder. Gelegentlich führte er auch Spezialaufträge aus: So überbrachte der 13-Jährige einmal im Auftrag einer «sehr elegant gekleideten Begleitdame» dem Komponisten Franz Lehar auf Schleichwegen einen Christstollen ins Hotel Baur au Lac. Hermi war erfinderisch im Beschaffen neuer Geldquellen. Als er 15 (!) war, kaufte er sich eine mobile elektrische Waschmaschine und gründete sein eigenes kleines Unternehmen, den «Waschmaschinen-Miet-Service». Für fünf Franken pro Tag lieh er die Maschine aus und hatte dabei vor allem in Genossenschaftshäusern viel Erfolg.
Bussenzettel für Hermis Bubenstreich im Kinosaal (1947
Bussenzettel für Hermis Bubenstreich im Kinosaal (1947)
Visitenkarte für Waschmaschinen-Service (1948)
Visitenkarte für Waschmaschinen-Service (1948)
Eine weitere Eigenschaft Schumachers war seine Unerschrockenheit. Nicht nur hatte er keine Angst vor «grossen Tieren», wie die Episoden mit Hitler, «Dutti» und Lehar zeigen. Eine andere unglaubliche Geschichte ist, wie er als Jugendlicher Augenzeuge des «Wiediker Familienmords» von 1943 wurde, als sich der damalige Filialleiter der Zürcher Kantonalbank auf einem Balkon an der Zweierstrasse vor aller Augen erschoss. All diese Ereignisse sind belegt durch Erinnerungen von Drittpersonen oder Dokumente (Bussenzettel usw). Denn Hermi selbst, obwohl kein «Studierter», sammelte Andenken, Urkunden, Souvenirs, Zeitungsartikel, Fest- und Vereinsschriften wie ein Historiker, seine Wohnung war voll davon.

Dieter Saxer, ein Hobbyfilmer des Quartiervereins, produzierte 2018 einen 4 ½ Minuten-Streifen über Hermis Kino Royal-Episode, der heute noch auf YouTube abrufbar ist. Einige Geschichten finden sich in Hermis Autobiografie, die der Quartierverein 2022 herausgegeben hat, andere in Beiträgen, die auf unserer Website erschienen sind (siehe Kasten am Schluss).

Zudem hat Ursula Tschirren, Mitarbeiterin des Ortsmuseums, zusammen mit dem Filmemacher Flavian Cajacob eine Videodokumentation hergestellt, die am 8. Juli 2021 im damals noch bestehenden Kino Uto an der Kalkbreitestrasse ihre Uraufführung hatte. Rund 100 Personen drängten sich in das ausgebuchte Pantoffelkino (mehr war wegen Corona-Schutzmassnahmen nicht erlaubt). Es war für alle Anwesenden ein grossartiges Erlebnis, als Hermi in seiner pointiert-trockenen, selbstironischen Art im Film und im Einführungsgespräch seine Erinnerungen zum Besten gab.
Uraufführung des Films «Wiedikon gestern & heute» im Kino Uto (8. Juli 2021)
Uraufführung des Films «Wiedikon gestern & heute» im Kino Uto (8. Juli 2021)
Hermi und Ruth nach der Kinopremiere im Restaurant Schmiedhof
Hermi und Ruth nach der Kinopremiere im Restaurant Schmiedhof
Der Quartierverein wie auch die Zunft organisierten Quartierführungen und Referate mit Hermi zur Ortsgeschichte, die meist ausgebucht waren: Wiedikon als Ziegeldorf / Geschichten vom Goldbrunnenplatz bis zum Triemli / Führung rund um die Aemtlerstrasse. Wenn Schumacher von einer Kirche, einem Altersheim oder einem Verein angefragt wurde, über ein vergangenes Ereignis, ein Gebäude oder eine Persönlichkeit im Kreis 3 zu referieren, liess er sich nie lange bitten. Warum tat er das alles? «Ich habe eben einen Sprachfehler: Ich kann nicht nein sagen.» Hermi war eine überaus grosszügige und hilfsbereite Person.
Das letzte Bild von Hermi im Seniorama Burstwiese (Januar 2025) Das letzte Bild von Hermi im Seniorama Burstwiese (Januar 2025)
Als seine Frau Ruth, mit der er 68 Jahre verheiratet war, 2022 starb, war Hermi geknickt. Trotzdem konnte er nach diesem Schicksalsschlag wie auch später während seiner zunehmenden gesundheitlichen Beschwerden offen über seine Gefühle, seine Sorgen und Nöte reden. Das ist nicht selbstverständlich für einen Mann seiner Generation. Gleichzeitig betonte er in einer Mischung aus Trotz und Optimismus: «Das Leben muss weitergehen.» Zu einzelnen Mitgliedern der Zunft, zu Kolleginnen und Kollegen des Quartiervereins, zu Wohnungsnachbarinnen und Mitstreitern aus alten Tagen pflegte er einen freundschaftlichen Kontakt. Und manchmal griff er selbst zum Telefon: «Ich dachte, ich muss mich wieder mal melden». Hermi gehörte nicht zu den Schwerenötern und Jammerlappen. Er konnte sich freuen an einem feinen Essen, einem Glas Wein und «etwas zum Knabbern». Wir hatten das Glück, ihn wenige Tage vor seinem Tod noch im Seniorama Burstwiese besuchen zu können. Dort ist er am 22. Januar 2025 gut umsorgt verstorben.
Lieber Hermi, wir danken dir für Alles, was Du für uns, für den Quartierverein und für Wiedikon getan hast. Du lebst in unseren Köpfen und Herzen weiter.

Die Beisetzung von Hermann Schumacher findet am Freitag, 14. Februar, 13.30 Uhr im Friedhof Sihlfeld D statt, die Abdankung anschliessend in der Friedhofkapelle Sihlfeld D.

Die reich bebilderte Broschüre Wiediker Kindheitserinnerungen von Hermann Schumacher (Zürich 2022, 72 Seiten) kann beim Quartierverein Wiedikon für CHF 15 plus Versandkosten bezogen werden: info@quartierverein-wiedikon.ch